Dieser Artikel ist Teil unserer Serie Kundengetriebenes Marketing.
Zwei Entwicklungen sorgen dafür, dass bei der Segmentierung von Kunden künftig kein Stein auf dem anderen bleibt: Einerseits sickern Forschungsergebnisse aus der Verhaltenspsychologie[1] langsam in die Marketingpraxis ein. Andererseits verändern die gesetzlichen Vorschriften zur Verwendung von Cookies das bislang datengetriebene Marketing in ein kundengetriebenes. Was bedeutet das? In Zukunft liegt der Fokus allen Bemühens auf der Erstellung von Kundenprofilen (Identity Resolution Management), damit im Sinne einer Customer Intelligence ein möglichst umfassendes Kundenverständnis aufgebaut werden kann (lesen Sie auch Teil 1 unserer Serie).
Mithilfe einer granularen Segmentierung kann aus Identity Resolution Management und Customer Intelligence eine holistische und abgestimmte Customer Experience erschaffen werden. Bislang wird beim Aufbau eines umfassenden Kunden-Verständnisses, der Customer Intelligence, jedoch die Bedürfnisebene noch vernachlässigt. Dabei kann diese mit Erkenntnissen der Behavioral Economics und der Verhaltenspsychologie ergänzt werden und somit endlich den Kunden selbst statt der blossen Daten in den Mittelpunkt rücken.
Paradigmenwechsel: dynamische, spitze Segmentierung
Wer effektives Marketing betreiben will, muss segmentieren – das ist nicht neu. Doch bisher werden dabei psychographische Dimensionen oder Prognosen über das künftige Nutzerverhalten nur spärlich modelliert und noch weniger genutzt, Segmentierung basiert nach wie vor auf soziodemografischen und Website-Daten, allenfalls ersten generischen Affinitäten. Hier muss es zu einem Paradigmenwechsel kommen: eine dynamische und spitze statt einer breiten Segmentierung sollte das Gebot der Stunde sein. Zum Erfolg führt das Verschmelzen folgender Analysedisziplinen:
- Identity Resolution: datenschutzkonforme, konsolidierte User-Identitäten werden erschaffen
- Data Science: vorhandene Daten werden statistisch analysiert und interpretiert, zudem werden Muster und Trends zur Entwicklung von Propensitätsmodellen (Predictive Analytics) abgeleitet
- Behavioral Science: gesammelte Daten werden um psychografische Merkmale (v. a. grundlegende Bedürfnisse und relevante Entscheidungsmuster) qualitativ angereichert
Um intelligent zu segmentieren, ist es notwendig, zwei Datenbestände zu koppeln. Während Websitedaten Aufschluss über das User-Verhalten in Bezug auf Recency, Frequency oder Engagement geben, informieren Daten aus der Datenbank über die Kundenhistorie (Transaktionen, CLV, Retouren oder Kundenqualität).
Diese Datenbestände werden über einen Identifier (üblicherweise eine E‑Mail-Adresse) verknüpft. So können intelligente Segmente entwickelt werden.
Verhaltensökonomie in der Segmentierung
Die Verknüpfung der beiden Datenbestände ermöglicht die Anreicherung der Profile bzw. Segmente um die Merkmale der Bedürfnisebene. Dies ist entscheidend, da die Bedürfnisebene aktuellen Erkenntnissen der Behavioral Economics und Verhaltenspsychologie für >95% aller menschlichen Entscheidungen zuständig ist.
Es ist schon bezeichnend, dass die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Psychologie und Marketing-Technology gleichzeitig so eindeutig wie unbekannt ist.
Ein schon altbekanntes Beispiel demonstriert nach wie vor gut das Daten-Dilemma: In ihren sozio-demographischen Merkmalen unterscheiden sich Ozzy Osbourne und Prinz Charles nicht voneinander (männlich, Brite, >70 Jahre alt, sehr wohlhabend, grosser Wohnsitz auf dem Land, etc.). Sie können somit vergleichbare Interaktionsprofile im Shop hinterlassen. Auf der Persönlichkeits- und Bedürfnisebene könnten sie aber kaum unterschiedlicher sein. Eine rein datenbasierte Ansprache-Logik muss daher fast versagen.
Somit ist für die erfolgreiche Gestaltung von Customer Journeys die Bedürfnisdimension das entscheidende und vor allem bislang kaum berücksichtigte neue Kriterium. Es ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Forschungserkenntnisse erst nach und nach in die Praxis überführt werden, dass sie Bedürfnisebene noch nicht aller Munde ist. Zudem spielt sicherlich auch die nicht zu unterschätzenden Komplexität, diese Ebene zu erschliessen, eine Rolle.
Zwei Wege für die psychologisch fundierte Kundenansprache
Eine psychologisch fundierte Ansprache im kundenzentrierten Marketing kann auf zwei verschiedenen Wegen realisiert werden: konzeptionell und automatisiert.
- Die konzeptionelle Vorgehensweise ist ein datenbasiert-empathischer Ansatz. Psychographische Merkmale zu den bestehenden Audiences bzw. Segmenten werden durch Experten, wie einen Customer-Journey-Manager, ergänzt. Dieser hat eine umfangreiche Kundenkenntnis und besitzt die psychologische Kompetenz für dieses Vorgehen.
- Die automatisierte Vorgehensweise ist aktuell noch in einem frühen Stadium. Innovative Start-Ups wie Behamics in der Schweiz zeigen zwar bereits, dass mit Machine Learning-Algorithmen grundsätzlich eine sehr wirksame Auslieferung psychologischer Trigger möglich ist. Allerdings ist auch hier bei der Konzeption der Trigger psychologisches Wissen erforderlich und das Zusammenspiel der Systeme muss geklärt werden.
Die Wirkungskette Mensch → Bedürfnis → Trigger → Conversion kann im Zusammenspiel zwischen Daten und Psychologie ihre Wirksamkeit entfalten – ganz gleich, welchen Weg man wählt.
Fazit
Beim Aufbau eines umfassenden Kunden-Verständnisses, der Customer Intelligence, setzen wir heute vor allem auf Interaktions- und Transaktionsdaten. Dies lässt zwar die Modellierung von Segmenten zu, die aber unvollständig bzw. nicht allumfassend sind. Es fehlt die Bedürfnisebene. Auch wenn dies aus heutiger Sicht mit Blick auf die Toollandschaft und den Nutzungsgrad von daten-basierten Erkenntnissen in Unternehmen fortschrittlich gedacht ist, so wird doch die Anreicherung von Segmenten um Erkenntnisse der Behavioral Economics und Verhaltenspsychologie eine neue Ära der Segmentierung einläuten und eine neue Basis im kundengetriebenen Marketing legen.
Der Original-Beitrag zum Thema ist zuerst erschienen in der OneToOne.
Für einen übergreifenden Einstieg ins Thema kundengetriebenes Marketing empfehlen wir unser Whitepaper Bye bye datengetriebenes Marketing: Es lebe das kundengetriebene Marketing, das hier angefordert werden kann.
Für einen übergreifenden Einstieg ins Thema kundengetriebenes Marketing empfehlen wir unser Whitepaper Bye bye datengetriebenes Marketing: Es lebe das kundengetriebene Marketing, das hier angefordert werden kann.
[1] Z. B. über Grundlagenbücher wie „PsyConversion“, SpringerGabler 2018
Autor
Joachim Stalph ist Principal Consultant bei elaboratum und seit über 10 Jahren im Onlinebusiness tätig. Seine Beratungsschwerpunkte liegen auf E‑Commerce-Konzeption, UX, Conversion-Optimierung und Crosschannel-Verknüpfung. In dem Themenfeld Kunden-getriebenes Marketing beschäftigt ihn die Fragestellung, wie aus rohen Daten intelligente Erkenntnisse gewonnen werden können. Kontakt: joachim.stalph@elaboratum.de